Karikatur und Kunst im Paris des 19. Jahrhunderts: Daumier

Karikatur und Kunst – die beiden ha­ben und hatten es nicht im­mer leicht mit­ein­ander. Ihr Verhält­nis zu­ein­ander bleibt zwie­späl­tig und in dau­ern­der Be­wegung. In jeder Epoche ord­nen sie ihre Be­zieh­ungen wieder neu – so auch in dem uns inte­res­sie­ren­den Zeit­raum zwi­schen 1830 und 1880.

Karikatur und Kunst – die beiden ha­ben und hatten es nicht im­mer leicht mit­ein­ander. Ihr Verhält­nis zu­ein­ander bleibt zwie­späl­tig und in dau­ern­der Be­wegung. In jeder Epoche ord­nen sie ihre Be­zieh­ungen wieder neu – so auch in dem uns inte­res­sie­ren­den Zeit­raum zwi­schen 1830 und 1880.

Der Zufall will­ es, dass ein­ Kunst­kri­tiker des Cha­rivari, ei­ner fran­zö­sischen Kari­katur-Zeit­schrift, na­mens Louis Leroy im Ap­ril 1874 die ers­te Im­pres­sio­nisten-Schau be­suchte und die Bil­der­schau in ei­nem Ar­tikel im Cha­rivari als blo­ßen „Impres­sio­nismus“ schmähte. So bekam das Kind seinen Namen.

Charles Daubigny, ein Ma­ler der „Schule von Bar­bizon“ soll an­ge­legent­lich seiner Be­trach­tung der Fres­ken in der Six­tini­schen Ka­pelle in Rom ge­sagt haben: „Der malt ja wie Daumier“. Das wird Michel­angelo ge­fal­len haben und der be­nannte Ho­no­ré Dau­mier sollte später mit dem Eh­ren­titel „Michel­angelo der Kari­katur“ be­lehnt werden.

Zwei Episoden aus dem 19. Jahr­hun­dert, die ei­ne Menge er­zählen kön­nen, wie in die­ser Zeit es Kari­katur und Kunst mit­ein­ander hal­ten. Die Genese des Be­griffs „Im­pres­sio­nismus“ ver­weist auf das kom­pli­zier­te Be­ziehungs­ge­flecht von Kunst und Kari­katur im Frankreich des 19. Jahr­hun­derts.

Dort treffen sich Momente der Uni­versal­historie – es ist das Eu­ropa der riva­lisie­renden Natio­nal­staaten zwi­schen Re­vo­lution und Re­aktion auf Mo­mente der in­di­vi­du­el­len poli­ti­schen und so­zi­alen Geschichte Frank­reichs, zum an­de­ren ent­wic­keln sich, ge­speist von tech­ni­schen Er­fin­dungen und For­schungen zur Sinnes­phy­sio­logie des Men­schen, neue Wahr­nehmungs­stra­tegien, neue Wir­kungs­äst­he­tiken. Und es ent­wic­kelt sich ei­ne neue Form der Bild­presse, da­runter die Kari­katuren­presse. Letztere be­zieht Stel­lung zu dem ge­sell­schaft­lichen Pro­dukt Kunst und kann so zum Namens­geber einer neu­en Mal­weise, dem Im­pres­sio­nismus, werden.

Die Dau­bigny-Anek­dote ver­weist gleicher­maßen auf die kom­plexen Struk­turen, die sich im Mo­der­ni­sie­rungs­pro­zess Frank­reichs zwi­schen 1830 und 1870 ent­wickeln. Nur nimmt sie den um­gekehr­ten Weg — mit der Be­trach­tung eines In­divi­duums, dem Kari­katu­risten Ho­no­ré Dau­mier im Flus­se sei­ner Zeit, sei­nes in­di­vidu­ellen Schick­sals, sei­ner jahr­zehnte­langen Ar­beit in ei­nem Wirt­schafts­unter­nehmen namens Ka­ri­katu­ren­presse, sei­nes Zeit­zeugnisses. Sie nennt die Re­sul­tate sei­ner Ar­beit, sein Bild­ver­mächt­nis, das, wie die hüb­sche Anek­dote zeigt, auch ex­treme Ver­gleiche nicht scheut. Und so gilt es, mit dem Mann Dau­mier, sein Zeit­alter zu wür­digen, sei­ne Bilder – man mag sie Kari­katuren nennen oder auch nicht – als Wider­hall des schwie­rigen und schein­bar end­losen 19. Jahr­hun­derts zu b­egrei­fen — als Sig­natur die­ser Zeit, um diesen schö­nen Be­griff von Hein­rich Hei­ne auf­zu­greifen.

[…] Der Bildermacher Daumier lebt in einer spannungs­ge­ladenen und turbu­len­ten Zeit, es ist die Zeit der Re­volu­tionen und Konter­revolu­tionen, die Zeit der zu­neh­mend kriege­rischen Ausein­ander­set­zungen im­peri­aler Mäch­te auf euro­pä­ischem Bo­den, die Zeit der wirt­schaft­lichen Nöte, der Kon­junktur­krisen, der Hunger­katas­trophen und der ver­heeren­den Epi­demien. Es ist die Zeit der ent­schei­den­den Er­fin­dungen wie: Gas­licht, Eisen­bahn, Elek­trizi­tät, Foto­graphie und Litho­graphie. Und es ist die Zeit der Trans­formation des alten Paris in eine mo­derne, glanz­volle Metr­opole.

Die der Juli-Revolution fol­gende Ver­fassung garan­tiert Presse­frei­heit. Im sel­ben Jahr grün­det der Jour­nalist und Kari­katu­rist Charles Philipon das sa­ti­rische Wochen­blatt „La Cari­cature“ – eine Art Kultur­magazin mit ei­nem Schuss Sa­tire. Motto: ‚cas­tigat ri­dendo mo­res‘. Philipon kennt die Macht, die von Bil­dern aus­ge­hen kann, die, die mit den Au­gen spre­chen und ge­winnt zur Be­bilde­rung seines Maga­zins eine Reihe von begab­ten Zeich­nern: Decamps, Gavarni, Grandville, Traviès und ei­nen jungen Auto­didak­ten na­mens Ho­no­ré Dau­mier. „La Caricature“ ist als Abon­nenten­zeit­schrift aus­gelegt, also nicht im Straßen­ver­kauf oder am Kiosk er­hält­lich. Sie enthält 4 Sei­ten Text und es lie­gen je­der Aus­gabe 2 Blät­ter, oft­mals

kolo­rier­ter litho­gra­fischer Kari­ka­tu­ren bei. Die Zeitung ist auf­wändig in der Her­stel­lung, da­her ver­hält­nis­mäßig teuer und er­reicht gerade mal eine Auf­lage von etwa 800 bis 1.000 Ex­emp­la­ren.

la Caricature 1833
la Caricature (1833)

Gelesen wurde die­ses Blatt von ei­ner vor­wiegend anti­monar­chis­tisch gesonne­nen, für eine bür­ger­liche Repu­blik ein­tre­tenden bil­dungs­bür­ger­lichen Schicht von Geschäfts­leuten, In­dus­tri­ellen, Rechts­anwälten, No­taren, Dok­toren, Apo­the­kern, Poli­tikern und Offi­zieren. Diese meist aka­demisch vor­gebil­dete Schicht ver­fügte über den nö­ti­gen Wissens­vor­rat an po­li­tischen, lite­ra­rischen und künst­le­rischen Kennt­nissen, um die Bil­der „lesen“ zu können. Diese Kari­ka­turen waren Teil ei­ner bil­dungs­bürger­lichen Eliten­kultur, die sich von der Aus­übung po­li­ti­scher Macht durch den engen Wahl­zen­sus aus­ge­schlos­sen sah. Die von den da­ma­li­gen Macht­habern ge­teilte Be­fürch­tung einer Po­li­ti­sie­rung der Massen mit Hil­fe sol­cher Kari­katuren ist daher eher un­be­gründet. Die große Masse der Be­völ­ke­rung Frank­reichs war viel zu arm und un­ge­bil­det, um am Kon­sum ei­ner sol­chen Zeit­schrift teil­zu­haben. Etwa 70% der Be­völ­ke­rung Frank­reichs leb­ten am oder unter dem Ex­is­tenz­mini­mum. Außer­dem waren 50% der Be­völke­rung mehr oder weniger An­alpha­beten. Schulen koste­ten Schul­geld, die Ein­lösung der Forde­rung nach kos­ten­freiem Ele­mentar­unter­richt sollte noch lange auf sich war­ten lassen.

„La Caricature“ schlug nach kurzer Zeit einen heftigen, an Schärfe kaum zu überbietenden Ton an – und die beigegebenen Bilder taten ihresgleichen. Frech bis schamlos gaben sie dem Monarchen und die Regierung- dem selbst ernannten „juste milieu“ – der Lächerlichkeit preis. Die Verlachten fanden das so komisch nicht und zogen vor Gericht, um das missliebige Blatt auf juristischem Wege zu Fall zu bringen. Philipon resümiert nach zwei Jahren 20 Beschlagnahmungen, 6 Prozesse, 3 Verurteilungen, 6.000 Francs Geldstrafe und 24.000 Francs Kautionsforderungen. Verurteilt zu Haftstrafen werden Philipon selbst, der Drucker und unser junger Daumier.

Philipon hatte früh nicht nur das zeichnerische Talent von Daumier erkannt, sondern auch einen begabten Bildhauer in ihm entdeckt. Daumier erhielt 1832 von Philipon den Auftrag, Tonbüsten von den einflussreichsten Vertretern der Deputiertenkammer zu modellieren. Diese Büsten aus ungebranntem Ton – gleichwohl bemalt- sollten allen Zeichnern der Karikatur als Vorlage dienen. Es mögen wohl insgesamt 50 dieser Tonbüsten entstanden sein, 36 davon haben sich erhalten. Auch Daumier hat viele seiner Zelebritäten in Ton dann in lithografische Bilder umgesetzt. Am berühmtesten wurde das 1834 entstandene Blatt der „Ventre législatif“, die Ministerbank, die 24 Portraits vereinte.

1835 wurden nach einem Attentats­versuch auf König Louis Philippe die Presse­gesetze deut­lich ver­schärft, vor allem eine Vor­zensur für Bilder ein­geführt. Die Folge: „La Caricature“ wurde ein­ge­stellt. Das Blatt trug sich auf­grund hoher Geste­hungs­kosten und zu ge­ringer Auf­lage (Juni 1835 nur 850 Sub­scri­benten). Aber der um- und weit­sichtige Phili­pon hatte schon im Jahre 1832 eine sa­ti­rische Tages­zeitung ge­gründet, die er „Le Charivari“, die „Katzen­musik“ nannte. Diese Zei­tung ent­hielt 4 Sei­ten Text und der Leser fand auf Sei­te 3 eine in das Zei­tung­spapier ein­ge­druckte Ori­ginal­litho­graphie. Auf eine Kolo­rie­rung des Bildes wurde ver­zichtet. Aufgrund der viel ge­ringeren Her­stellungs­kosten war die sa­ti­rische Tages­zeitung er­heblich preis­werter und steu­erte hö­here Abon­nenten­zahlen an. Aber: die wirt­schaft­liche Lage der bei­den Kari­katur-Zeit­schriften blieb außer­or­dent­lich schwierig. Verleger und Her­aus­geber Phi­li­pon hatte mit den ge­ringen Auf­lagen, mit Her­stel­lungs­kosten, zu­sätz­lich mit der Stem­pel­steuer, den vor­ab zu ent­rich­ten­den Kau­tionen und den ho­hen Geld­strafen, die den Be­schlag­nahmungen oft folg­ten, zu kämpfen. Außerdem lagen die bei­den Satire­blätter in den Lese­zirkeln, den Cafés und den Lese­kabi­netten aus, in denen der Inte­res­sierte die Blätter für we­nige Sous le­sen konnte. Beide Blät­ter blieben Ver­lust­geschäfte, auch der „Charivari“ erlebte einige Bank­rotte. Philipon konnte seine Satire­blätter nur halten, weil seine ande­ren Presse­produkte, ein bunter Strauß von un­poli­tischen Unter­haltungs­magazinen, hohe Ge­winne ab­warfen. Er hat sich die beiden Kari­katur­blätter schlicht und ein­fach ge­leistet, um seinem po­li­tischen Credo des Kamp­fes Phili­pon gegen Louis Philippe zu einem medien­wirk­samen Auf­tritt in der Öf­fent­lich­keit zu ver­helfen.

Philipon war ein oftmals autoritär auftretender Verleger und Herausgeber. Kein Bild, kein Text erschien ohne seine Einwilligung. Die Serie des „Robert Macaire“ zum Beispiel war, was die Planung der Serie, die Ausarbeitung der einzelnen Szenen, die Betextung anging, allein sein Werk. Zu allen Zeiten nahm er auf die Konzeption von Einzelbildern und -serien, auf die Art der Zeichnung, auf die Betitelung und auf die nachträglich eingefügte Legende den größtmöglichen Einfluss. Das gilt auch für die Beiträge von Honoré Daumier.

Gleichwohl sind seine politischen Maximen, die politischen Inhalte seiner republikanischen Haltung eher unbestimmt. Eine Festlegung auf die politische Linie einer der republikanischen Fraktionen der Opposition hätte eine weitere Minderung der Zahl der Subscribenten zur Folge haben können.

So bleiben: sein ausgesprochener Antiklerikalismus, sein stark national eingefärbter Patriotismus, sprich sein republikanisch eingefärbter Nationalismus, sein auch wirtschaftlichen Erwägungen folgendes Eintreten für die Pressefreiheit und für das allgemeine Wahlrecht für Männer. Der Ruf nach sozialen Reformen bleiben ihm fremd, gelten ihm als sozialistische Experimente, die die bestehende gesellschaftliche Ordnung bedrohen könnten. Nur so kann der Beifall des „Charivari“ für den „Juni-Schlächter“ von 1848, für General Cavaignac zu erklären sein, der den Aufstand des Pariser Proletariats in einem beispiellosen Massaker zusammenschießen ließ.

Von den Zeichnern der „Charivari“ kam, was diese Ereignisse anging, vor allem Philipons Favorit unter den Zeichnern Graf Amédeé, Charles Henry de Noe, ge­nannt Cham, zu Wort. Der ver­trat die reak­tio­näre Seite des Blattes und durf­te die poli­tischen Recht­ferti­gungs­bilder des „Cha­ri­vari“ zeichnen. Daumier schwieg. Nur der Chef­redak­teur Taxile Delord nahm eine kri­tische Hal­tung zu den Juni-Ereig­nis­sen ein und wurde prompt durch Louis Huart er­setzt. Erst später er­hielt Delord seinen Posten zurück. Cham blieb auch bei dem uns inte­res­sie­ren­den Thema: Kari­katur und Kunst, der kon­ser­vative Banner­träger des Blat­tes; auf­fällig waren seine gehäs­sigen Salon-Kari­katuren, die sich in be­tont ab­fäl­li­ger Weise zu den Bil­dern der Maler des moder­nen Lebens, etwa des Rea­listen Courbet oder des Im­pres­sio­nisten Manet äu­ßer­ten.

Doch Philipon glaubte sein Leser­publikum zu kennen. Chams Ein­schät­zung der künst­le­rischen Avant­garde war reprä­sen­tativ für die Seh­gewohn­heiten und Kunst­auf­fassungen des Leser­kreises des „Chari­vari“.

Daumier schwieg oder wurde zum Schwei­gen ge­bracht. Er ent­zog sich der po­liti­schen Linie des „Cha­ri­vari“. Die poli­tische Er­blin­dung die­ser Variante des Repu­blika­nismus wurde von ihm nicht mit­ge­tragen. Ergebnis: allein in den Jah­ren 1848 und 1849 wurden 36 von Daumier ge­fer­tigte Litho­gra­phien nicht ver­öffentlicht. Es kann im übri­gen nur Provo­kation sein, wenn Daumier im schwie­rigen Jahr 1848 dem Verlag die Dar­stel­lung eines Zei­tung lesen­den Ar­beiters im Beisein eines spitz ge­zeich­neten dick­bäu­chigen Bour­geois an­bot. Das Blatt wurde nie ver­öf­fent­licht. Daumier kam erst wieder zu Wort und Bild, als das „Kind ins Wasser ge­fallen“ war, sprich Louis Napoleon zum Präsi­denten der Repu­blik gewählt worden war und bei den nach­fol­gen­den Wahlen zur Natio­nal­ver­sammlung die „Partei der Ordnung“ aus Legi­ti­misten, Orlé­an­isten, Bona­par­tisten und Resten der Repu­bli­kaner zum Toten­gräber der Zwei­ten Re­pu­blik wur­den. Bis zum Staats­streich im De­zem­ber 1851 ge­währte der „Charivari“ wie­der di Freiheit des poli­tischen Dis­kurses.

Die junge moderne Kunst, Malerei und Bild­hauerei hat­ten es schwer in die­ser Zeit der po­li­ti­schen und sozi­alen Wirren, beim bür­ger­lichen Publikum Akzep­tanz zu finden. Nur die Vertreter der Schule von Bar­bizon gewan­nen nach 1848 all­mäh­lich Aner­ken­nung und er­ziel­ten nun gute Preise. Daumier erfuhr die wirt­schaft­liche Not seiner Künst­ler­gene­ration aus ei­ge­ner An­schau­ung, am eige­nen Leibe. Bekanntlich fing er 1848, in dem Jahr, in dem er auch ei­nen Preis von der Re­gie­rung für sein Bild zum Ruhme der Fe­bruar-Revo­lution er­hielt, in größe­rem Umfang an z malen und zu zeichnen – jetzt im ‚erns­ten Stil‘, kari­kieren­de Ele­mente weitest­gehend ver­meidend. Zunächst blieb das ohne je­den Er­folg auf dem Bil­der­markt, erst viele Jahre später, erst Mit­te der 60er Jahre fand sich ein klei­ner Kreis von Käu­fern für seine, neben den Kari­katuren ent­stan­denen Werke.

Seine Zeich­nungen und Öl­gemälde fanden zuvor­derst nur den Bei­fall seiner Künstler­kol­legen außer­halb des „Cha­ri­vari“-Um­feldes. Es war die­ser stete Aus­tausch mit seinen Künst­ler­kol­legen, der Daumier zu einem der ih­ren wer­den ließ, der als Kari­katu­rist ein fer­ner Freund, doch Beach­tung, Anteil­nahme und Unter­stüt­zung bei ihnen fand.

Wie oben erwähnt, wurde 1832 Daumier als Wieder­holungs­täter wegen Verun­glimp­fung des Kön­igs und seiner Mi­nis­ter zu 6 Mo­na­ten Haft ver­ur­teilt. Ende Januar 1833 kam er wieder frei und schloss sich ei­ner Wohn- und Ar­beits­gemein­schaft von Künst­lern an, unter ihnen die Maler Paul Huet, Louis Cabat, Jeanron, Diaz de la Pena und der Bild­hauer Au­guste Preault. Schon 1831 hatte Phi­lipp Au­guste Jean­ron mit sei­nen Künstler­kol­legen Cabat, Huet, Decamps und Daumier eine „Societé libre de Pein­tres et de Sculp­teurs“ ge­gründet. Über Huet fand Daumier auch zu Kon­tak­ten mit Delacroix, Vic­tor Hugo, David d’Angers, Corot und Theodor Rousseau. Diese Künstlerfreund­schaften banden Daumier ein in die sich ent­wickelnde künst­le­rische Avant­garde in Paris. Nicht von ungefähr schrieb Delacroix 1846 in ei­nem Brief an Dau­mier: „Es gibt keinen, den ich mehr schätze und verehre als Sie“. Anfang der 1840er Jahre nahm Daumier Quartier auf der Ille St. Louis und wurde Nach­bar und Freund von Bau­del­aire und Gau­tier – unweit von ihm wohn­ten seine Freun­de Daubigny und Geof­froy De­chaume. 1847 wurde eine neue Künst­ler­grup­pierung gegrün­det, mit dem Ziel ei­nes unab­hängigen, jähr­lichen Salons, in dem al­lein die Künst­ler selbst als Ju­roren auf­treten soll­ten. Getragen wurde dieser kunst­poli­tische Vor­stoß von Delacroix, Jeanron, Preault, Decamps, Dupré, Jaques, Scheffer, Barye, Diaz, Rousseau, Daumier u.a.m.

1848 wurde diese Forde­rung noch einmal bekräf­tigt von Barye, Diaz, Dupré und Daumier. 1853 folgte Daumier seinen Freunden Daubigny und Geof­froy De­chaume nach Val­mon­dois und Bar­bi­zon und nahm hier freund­schaft­liche Bezie­hungen auf zu Millet, Rousseau, Ziem und Corot. Ab 1853 ver­brach­te Daumier seine Sommer­monate in Valmondois. Es folgten wei­tere regel­mäßige Treffen mit befreun­deten Künstlern in Barbi­zon, an de­nen auch füh­rende Schrift­steller der Zeit wie Gau­tier, George Sand, Champfleury, die Ma­ler De­la­croix und Huet und der Ma­ler-Foto­graph Fe­lix Na­dar teil­nahmen.

1860 wurde eine „unab­hängige Gesell­schaft zur För­derung der Künste“ gegrün­det unter Lei­tung von Rous­seau und Diaz und un­ter Mit­arbeit von Dau­mier. 1865 zog Daumier end­gültig nach Val­mon­dois um, be­hielt aber sei­ne Wohnung in Paris. 1870 richtete Dau­mier zu­sammen mit Corot, Manet und Courbet ein Pro­test­schreiben gegen die lei­dige Jury und for­derte neue Regeln für den Salon­betrieb.

Das muss vorerst genügen, um deut­lich zu machen, wie sehr Dau­mier einge­bunden war in die künst­le­rische Avant­garde in Paris: mit den Ma­lern aus Bar­bi­zon, den füh­renden ro­man­tischen Bild­hauern David d’An­gers und Préault, mit der roman­ti­schen Male­rei ei­nes Dela­croix, mit den Realisten wie Courbet und mit den Vertretern einer neuen provokanten Malweise, den Impressionisten etwa Degas und Manet und schließ­lich mit ei­nem Teil der schrift­stel­le­rischen Elite. Sie alle sind ein be­stimm­ter Teil ei­nes Bil­des von Daumier — er bil­det sich ih­nen ab. Inwie­weit Daumier wiede­rum di­rekt auf Schöp­fungen von Künst­ler­kol­legen Be­zug nimmt und in die ei­ge­nen Ar­beiten inte­griert ist nicht leicht aus­zumachen. Landschafts­bilder im Stile von Bar­bizon gibt es von ihm nicht. Zumindest die Skulp­tur des „Rata­poils“ lehnt sich in Kör­per­dre­hung und -ge­wich­tung stark an die Figur des Robert Macaire des Bild­hauers Jean-Pierre Dantan aus dem Jah­re 1833 an. Dantan war ja auch von Phi­li­pon, der ihn sehr schätz­te, beauf­tragt worden, eine Rei­he von Kari­katur-Por­trait­büsten der poli­ti­schen Ver­treter der Juli-Mo­nar­chie zu mo­del­lie­ren, was die­ser aber in Voraus­sicht zu er­war­tender Schwierig­keiten mit den Macht­habern dankend ab­lehnte. Und so kam dann der junge Dau­mier an die­sen Auf­trag heran.

Einiges war auch der Bekannt­schaft mit dem Tier­bild­hauer Barye zu ver­danken: die Masse­ver­tei­lung bei der Auf­rich­tung sich wöl­bender Kör­per – etwa bei der Dar­stel­lung von Kämp­fen­den – hat sich Dau­mier wohl bei dem Freund ab­ge­schaut. Die pastosen und stump­fen Far­ben in Dau­miers Male­rei erin­nern an die Farb­palette Millets.

Daumier war sich der Wert­schätzung sei­ner Freunde und Kol­legen ge­wiss, was auch da­durch zum Aus­druck kam, dass sich zahl­reiche Künst­ler­kol­legen eine Samm­lung von Daumier- Litho­graphien, Zeich­nungen und Bil­dern zu­leg­ten. Karika­turen von ihm besaßen Degas, Manet, Monet, Daubigny, Gavarni, Grandville, Geoffroy-Dechaume, Champfleury u.a.m. Später kamen als Samm­ler von Dau­mier-Gra­fik van Gogh, Toulouse Lautrec und Picasso dazu und von den deut­schen Malern vor allem Max Lieber­mann.

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Der Karikaturist Daumier hatte sich an vie­len Stel­len zum Kunst­betrieb sei­ner Zeit ge­äußert. Er zeigte die wirt­schaft­liche Mi­sere der Künst­ler, er nahm die ver­ständ­nis­losen Kom­men­tare von Salon­be­su­chern zu Bil­dern von Manet, Courbet oder De­la­croix aufs Korn, ohne je­doch wie an­dere Kari­ka­tu­risten, wie et­wa Cham und Bertall die Wer­ke die­ser Künst­ler selbst ab­zu­werten. Seine kri­ti­schen Bilder zu den Land­schafts­malern, den so­ge­nann­ten Plein­ar­isten be­zie­hen sich nicht auf ent­spre­chen­de Wer­ke der Schule von Bar­bi­zon, sondern auf das nach dem Durch­bruch und der Aner­ken­nung der Plein­air-Male­rei der Barbi­zo­nisten sich aus­brei­tendes Epi­gonen­tum von Ma­lern, die aus der Groß­stadt kom­mend, orien­tierungs­los ver­zwei­felt nach ei­nem ge­eig­ne­ten Motiv in der ih­nen völ­lig un­ver­trauten Land­schaft suchten. Vor allem aber sind es die kri­ti­schen Bil­der von Dau­mier zum all­jähr­lich statt­fin­denden Salon mit­samt seinen inkom­pe­tenten Ju­roren, den unge­rechten Kunst­kri­tikern; die Mas­sie­rung von Bil­dern ba­na­len und schwüls­ti­gen In­halts, auf all’ das rea­giert Dau­mier mit zor­niger Verachtung.

Der Kari­katurist Dau­mier hat uns ein, in sei­ner Gänze betrach­tet, zwie­späl­tige Reak­tionen aus­lö­sendes Erbe hinter­lassen. Er hat neben sei­nen etwa 400 klei­nen litho­gra­phischen Meister­werken – die werden immer wie­der ge­zeigt! – eine rie­sige Zahl von belang­losen und oft­mals lieb­los schlecht gezeich­neten Litho­gra­fien produ­ziert. Das ist der an­dere, sel­ten o­der nie gezeigte Dau­mier, der oft in be­drüc­ken­der Termin­not Bilder lie­fern mußte, Bilder, denen man die Un­lust an­sieht.

Sein Dauer­zwist mit Philipon und einem Teil des Re­daktions­stabes en­dete 1861 mit der Ent­las­sung aus den Dien­sten des „Cha­rivari“. Es folg­ten wirt­schaft­lich schwie­rige Zei­ten. Er mußte die Woh­nung auf der Ille St. Louis auf­geben und er nahm Quar­tier im neuen, vor al­lem von den Im­pres­sio­nisten be­vor­zug­ten Künstler­viertel, dem so­ge­nannten „Nou­velle A­thènes“ (9tes Arron­disse­ment).

Daumier musste es bitter er­fahren: als freier Künst­ler war er chan­cen­los. Nur Phili­pons Tod und die dann fol­gende Wieder­auf­nahme in den Mit­ar­beiter­stab des „Cha­ri­va­ri“ 1863 be­en­dete die­se für ihn bö­se Zeit. Daumier be­dank­te sich auf sei­ne Weise: er zeich­nete für den „Cha­ri­va­ri“ zwi­schen 1866 und 1870, sein Al­ters­werk &ndsh; diese einzig­artiger Blät­ter zu Krieg und Frie­den in Eu­ropa, Blät­ter, deren un­ver­än­derte Aktu­ali­tät uns heu­te noch be­drücken. Er sah das Ende des kai­ser­lich-impe­ria­lis­tischen Frank­reichs kommen. Er er­lebte eine der gro­ßen Tra­gödien Frank­reichs des 19. Jahr­hun­derts: Commune und Bür­ger­krieg, den Sieg Preußens über Frank­reich und damit den Schrecken des Krieges als Dauer­gast in Europa.

Die Karikatur ist gemein­hin im Kon­tinu­um der künst­le­rischen Dar­stellungs­weisen ganz un­ten an­ge­sie­delt. Tages­witz be­deutet schnel­les Ver­gessen. Aber gleich­wohl, in diesen nie­de­ren Ge­filden herr­schen kei­ne ein­deutigen und ver­bind­lichen Re­geln für das, was man wie zu zeich­nen hat. Und das ist der Be­reich der klei­nen Frei­heit, in dem sich Dau­mier be­wegt und den er zu nut­zen ver­steht. Es ist die Freiheit des Pro­bieren-Kön­nens. Daumier kann ohne von der Kunst­kritik behel­ligt zu wer­den al­le Stil­mittel der zeich­ne­rischen Um­setzung vorge­gebener Sujets er­proben. Er kann monu­men­tal zeichnen wie ein Bild­hauer, der es ver­steht, die Tek­tonik des Kör­pers ei­ner Per­son kor­rekt in die Bild­sprache zu über­tragen. Seine Figuren ver­lieren sel­ten ihre Ba­lance.

Er kann am an­de­ren Ex­trem die Atem­losig­keit ei­nes neu­en Zeit­ge­fühls ein­fangen, in­dem er die dar­ge­stell­ten Per­sonen in ein Netz von Knick- und Zit­ter­linien ein­wickelt, um da­mit die Be­we­gung des Kör­pers im Raum in ei­nem Zeit­kon­tinu­um zu be­schrei­ben. Seine Figuren schei­nen zu vi­brieren.

In diesen Dar­stellung­smodi bewegen sich die 20.000 von ihm ge­zeich­ne­ten Ge­stal­ten. Des­halb ist auch sein Werk schein­bar so un­eben und be­griff­lich so schwer zu fas­sen. Die Lite­ratur über ihn hat ihn er­klärt: zum Ro­mantiker, zum Im­pres­sio­nisten, zum Ex­pres­sio­nisten, zum Rea­listen, zum Fo­to­grafen un­ter den Ma­lern und sonst noch et­was. Es ist dem Labo­ra­torium der klei­nen Frei­heit der Kari­katur ge­schuldet, die Dau­mier per­sön­lich als die große Un­frei­heit er­fahren hat.

Thomas Metzen

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