Honorè Daumier: Von der Zeichnung zum Druck
Über das Leben und Werk des Bildermachers Honorè Daumier sind eine Vielzahl von Publikationen erschienen. In den folgenden 2 Kapiteln werden Aspekte behandelt, die eher dem Hintergrundwissen zugehören.
- Kapitel: Das Maison Aubert.
Druckverfahren und deren Fortentwicklung - Kapitel: Charles Philipon und das Maison Aubert
Politische Strategien und ökonomische Zwänge bei der Herausgabe von Karikaturzeitschriften.
I. Die Entstehung des lithographischen Bildes.
Ein Träger brachte einmal wöchentlich fünf präparierte Lithosteine in Daumiers Atelier. 1). H. Daumier arbeitete immer an mehreren Steinen gleichzeitig. Liefertag für die fertiggestellte Zeichnung auf Stein war der Montag bzw. der Dienstag 2). Der Stein wurde dann in die Druckerei verbracht, die mehrere Abzüge auf festem Papier herstellte, sog. Drucke „avant la lettre“ 3). Einer dieser Drucke ging zurück an Daumier zur Überprüfung und etwaiger Korrekturmaßnahmen. Die anderen Probeabzüge gingen an das Redaktionskollegium, das entsprechende Textversuche zum Bild vornahm. Schließlich einigte man sich auf die treffendste und originellste Bildunterschrift/Bildlegende 4). Dann ging der Stein an einen Schriftsetzer/-zeichner, der die ausgewählte Textlegende unter dem Bild anbrachte. Schließlich notierte er oberhalb des Bildes einen Titel und wenn es sich um eine Serie handelte deren Nummer. Zusätzlich gab er unterhalb des Bildes den Namen des Druckers und dessen Adresse und den Namen des Verlegers an.
Waren diese Arbeiten abgeschlossen, verfertigte der Drucker einen Abzug auf dünnem Velinpapier an, sog „papier mince“, mit der handschriftlichen Notiz, dass der vorliegende Druck so und nicht anders die Vorlage ist für den möglichen Auflagendruck. (sog Zertifikationsdruck)
In Zeiten herrschender Zensur musste dieser Druck einem staatlichen Zensor vorgelegt werden, der folglich mit einem handschriftlichen Vermerk einen Auflagendruck genehmigte oder ablehnte. Erst dann konnte der je nach Höhe der Zahl der Bezieher der Zeitschrift der Auflagendruck hergestellt werden.
Der Bildmacher H. Daumier hat vornehmlich für Publikationen der Verlagshauses Aubert/Paris gearbeitet. Für die von Aubert wöchentlich herausgegebene Satire-
Zeitung „La Caricature“ (1830-1835) wurden die jeweils zwei beigegeben Lithographien, oftmals koloriert, auf festem Velinpapier abgezogen. Bei der ab 1832 täglich erscheinenden Satirezeitung „Le Charivari“ hatte ein lithographiertes Bild auf Seite 3 seinen Platz – was einen gewissen technischen Aufwand bedeutete, musste doch die Lithographie im Flachdruckverfahren, der Textteil im Hochdruckverfahren hergestellt werden. Da der Zeitdruck bei der Herstellung eines täglich erscheinenden Blattes enorm hoch war, bediente man sich auch beim Charivari dem schon länger bekannten Abklatschverfahren von dem „Mutterstein“ auf sog. „Töchtersteine“, um so eine Zeichnung gleichzeitig von mehreren Steinen drucken zu können. Die Auflagenhöhe des „Charivari“ schwankte zu Lebzeiten Daumiers zwischen 1000-2500 Exemplaren. Gelegentlich wurden solche Steine aufbewahrt, um bei entsprechender Nachfrage Einzelblätter oder ganze Serien anbieten zu können. Sonst wurde die Zeichnung auf dem Stein abgeschliffen und der Stein für eine neue Verwendung präpariert. Insgesamt haben sich 14 von Daumiers Hand gezeichnete Lithosteine erhalten – ob es bei diesen sich um Mutter-oder Töchtersteine handelt, bleibt fraglich. 5)
2. Mit Recht behauptet Eduard Fuchs: „Jeder Zeit entsprechen ganz bestimmte Druckverfahren“ 6)
Auch das Verlagshaus Aubert unter der Leitung von Charles Philipon hat technische Neuerungen in ihrem Betrieb eingesetzt, um so auch zur Verringerung der Produktionskosten beizutragen. Eine Erfindung von erheblicher Tragweite war die Entwicklung der Zinkographie durch F. Gillot, auch Gillotage genannt, um 1850. Dabei wird vom Stein ein Abzug mit lithographischer Umdrucktinte auf lithographischem Transferpapier hergestellt.7) Dann wird dieser Abzug auf eine Zinkplatte übertragen/abgeklatscht, die Linien der Zeichnung säurefest/gehärtet gemacht durch Behandlung mit Asphaltlack. Im folgenden Säurebad werden die nicht geschützten Teile weggeätzt – es bleibt ein druckfähiges Hochdruckrelief. Der Vorteil: Bild und Text können in einem statt in zwei Druckverfahren hergestellt werden-was die Produktionskosten wesentlich mindert.
Daumier hat nie direkt auf eine Zinkplatte gezeichnet, er brachte weiterhin seine Zeichnung auf dem gewohnten Lithostein an und die Zeichnung wurde wie oben beschrieben auf die Zinkplatte übertragen. Der Charivari setzt das Verfahren der Gillotage verhältnismäßig spät ein. Insgesamt sind von Daumiers Zeichnungen auf Stein 270 Gillotagen hergestellt worden.
Einen ersten Versuch einer Daumier Gillotage gab es im Charivari mit dem Blatt L.D. 3268 vom 12.6.1865 mit dem Vermerk u.re. Gillot sc. Einen weiteren Versuch in dieser neuen Technik zeigt das Blatt L.D. 3303. Das Blatt erschien schon am 18.09. 1864 mit dem Vermerk Gillot. Gillotagen nach Daumier Zeichnungen erschienen auch in dem vom Verlagshaus Aubert publizierten „Journal Amusant“ zwischen 1864-1866. Es handelt sich um L.D. 3313-L.D. 3413. 8) Vermehrt tauchen dann Gillotagen nach Zeichnung von Daumier ab dem 2.9. 1870 auf, vgl. L.D. 3810.
Bei den meisten im Gillotageverfahren hergestellten Drucken findet man den Stempel des Gillotagenherstellers unterhalb der Bilddarstellung, wie z.B. ‚Yves et Barret‘, ‚Marchandeau‘ u.a.m.. Der Nachteil dieses preiswerteren Verfahrens ist augenfällig: die Halbtöne gehen verloren, was einen erheblichen Qualitätsverlust bei der Wiedergabe der Strichvorlage bedeutet.9) Ob im Hause Aubert bei den ganz späten Daumier-Gillotagen eine photographische Übertragung des Bildes auf die Zinkplatte vorgenommen wurde ließ sich nicht abschließend klären.10) F. Lachenal vermutet, dass Ives und Barret „sich vielleicht der Photolitho bedienten“.11)
Oftmals tragen die Lithographien von Daumier eine von ihm angebrachte Nummerierung. Sie erleichterte ihm und dem Verlagshaus Aubert die Abrechnung der geleisteten Zeichnung auf Stein. Derjenige, der versucht, über eine solche Steinnummer eine sichere Datierung des Bildes zu erreichen, steht vor zahlreichen Problemen. Einmal gibt es, wie Claude Keisch richtigerweise anmerkt, eine Differenz zwischen dem Zeitpunkt der Lieferung der Zeichnung auf Stein und der Publikation der Zeichnung im Verlagshaus Aubert.12) Daumier beginnt mit der Nummerierung der Steine mit der Nummer 290 (L.D. 780). Grundsätzlich gilt es aber festzuhalten, dass eine fortlaufende Nummerierung nicht vorliegt. Provost/Childs zählen insgesamt 16 verschiedene Nummerierungsfolgen, die von der reinen Zahl her sehr unterschiedlich ausfallen.13) Sie bewegen sich von der Anzahl weniger Nummern bis zu einer Nummernfolge von über 1000 Nummern. In der Spätzeit seines Schaffens bringt Daumier eine gewisse Konstanz in seinen ‚Nummernsalat‘. Er nummeriert dann in Blöcken von durchgängig von Nr. 1 bis Nr. 80.14)
Eine weitere Komplikation findet man in der Tatsache, dass Daumier einzelne Nummern zweimal verwendet, so z.B. die Steinnummern 1057, 1200, 1236, 1316.15). Der Versuch, über die Steinnummer eine Datierungshilfe zu erhalten, stößt daher auf erhebliche Schwierigkeiten. Wir können uns dem Urteil der Verfasser des Daumier-Registers nur anschließen: „Die Steinnummern sind irregulär und eine Nummer kann mehrmals erscheinen.“16)
3. Die Holzstiche von H. Daumier
Auch im Bereich des schon länger bekannten Verfahrens des Holzstichdrucks kündigen sich Neuerungen an. Bei den 26 großen frühen Holzstichen nach Vorzeichnung von Daumier-erschienen im Charivari 1834 – ist das Verfahren der Herstellung der Druckplatten nicht zweifelsfrei geklärt. Eduard Fuchs (Abbildung Nr. 33-40) ist der Meinung, sie, die 26 Holzstiche, er nennt sie Holzschnitte, seien in Längsholz-Schnitttechnik ausgeführt worden.17). Anders Eugene Bouvy (Abbildung Nr. 22-43). Er neigt der Meinung zu, es handle sich um Metalreliefschnitte.18) Ob dieses Verfahren im Jahre 1834 technisch so weit ausgereift war, bleibt dahingestellt. Daumier hätte dann womöglich seine Zeichnung auf einer Metalplatte anbringen müssen, die dann entsprechend präpariert, eine Druckform ermöglichte. Zum anderen ist es möglich, dass ein Graveur die Zeichnung auf die Metalplatte übertrug.
Ab Mitte der 30iger Jahre begann H. Daumier Zeichnungen für die Umsetzung im Holzstich zu verfertigen. Entsprechend ausgebildete Holzstecher haben dann die Zeichnungsvorlage mit Hilfe eines Grabstichels aus dem Hirnholzblock eines Buchsbaumes herausgearbeitet, wobei beim Druck die gravierten Furchen weiß blieben. Es handelt sich also um eine Hochdrucktechnik.19) H. Daumier hat insgesamt 1018 Zeichnungen für Drucke im Holzstichverfahren gefertigt.20) Wie die Umsetzung von Zeichnung auf die Druckplatte funktionierte, bleibt strittig.
Nach einer anderen Version21) lieferte Daumier kleine Handzeichnungen auf Papier an den Graveur, der dann die Skizze in den Holzblock eingravierte, womöglich im Durchpausverfahren oder in der freien Wiederholung der vorgegeben Linien. Zahlreiche Holzstiche tragen zusätzlich zur Signatur nach Daumier den Namenszug des ausführenden Xylographen/Holzstechers, wie z.B. „Biroute“ oder „Bernard“ u.a.m.
Ab 1846 wurden die originalen Holzstichblöcke ersetzt durch den Einsatz von galvanoplastische Verfahren, was eine unbegrenzte Vervielfältigung des Holzblocks durch Elektrolyse als Metaldruckstock erlaubt.22) Holzstichillustrationen von Daumier und anderen Künstlern, finden sich auch zusehends auf der Seite3 des Charivaris, der Seite, die vordem der Lithographie vorbehalten blieb. Auch hier spielen wirtschaftliche Erwägungen hinein: wenn der Holzstichblock in der Höhe dem der Drucklettern entsprach, dann war nur noch ein Druckvorgang nötig.23) Die vorhandenen Holzstichblöcke wurden im Hause Aubert in dessen zahlreichen Publikationen immer wieder erneut verwendet.24)
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Charivari sich gelegentlich auch für andere Reproduktionsverfahren öffnete. Als Beispiel mag die Daumier-Zeichnung „Le Carneval” (Bouvy Nr. 715, Fuchs Nr. 194, DR 5777) dienen, erschienen im Charivari am 28.2. 1843. Als Hersteller der Druckplatte wird in der Darstellung ein Graveur namens Remon genannt. (Signatur u.li. Remon sc.) Ein wenig später, am 10.6.1843, hat der Charivari seinen Lesern das neue Verfahren erklärt. Es handle sich hier um ein als Galvanographie bezeichnetes galvanoplastisches Verfahren. Dabei wird von einer eingravierten Zeichnung eine Matrize aus Wachs abgenommen, die dann mit Graphitpulver leitend gemacht wird. Schließlich wird die Matrize in ein galvanisches Bad gehängt. Es lösen sich von der Kupfer-Anode Kupferpartikel, die sich auf der Wachsmatrize niederschlagen. Wenn der Kupferüberzug der Wachskathode genügend stark ist, wird die Kathode herausgenommen und die Kupferhaut mit Weichblei hintergossen. Das Ergebnis: ein druckfähiges Relief.25)
Wie bei der lithographischen Bildwiedergabe fing man ab Mitte der 1860er Jahre an auch bei den Holzstichdrucken das Verfahren der Gillotage einzusetzen. Das Daumier-Register führt unter dem Stichwort „Technik Holzschnitt-Gillotagen“ insgesamt 24 dieser Gillotagen an. So auch E. Bouvy mit den Nummern 956-959, Nr. 960-969, und Nr. 973-982.
Ob bei der Herstellung der Holzstich-Gillotagen photographische Techniken zu Einsatz gekommen sind, in dem man ein Photo einer Zeichnung auf eine lichtempfindliche Oberfläche der Druckplatte übertrug, ließ sich nicht abschließend klären. Möglicherweise ist bei der Publikation ‚La Muette‘ Paris 1870 dieses Verfahren angewandt worden. (Bouvy Nr. 973-982, DR Nr. 6052-6062.) Verschiedentlich wurden im Sinne der Mehrfachverwendung des vorhandenen Bildmaterials Lithographien von Daumier und anderen in verkleinerten Maßen als Holzstichvignette wiederholt. Als Beispiele für Daumier Graphik seien hier vorgestellt:
- Litho L.D. 360 als Hst. Bouvy 335, DR. 5354
- Litho L.D. 594 als Hst. Bouvy 603. DR. 5634
- Litho L.D. 627 als Hst. Bouvy 419. DR. 5440
- Litho L.D. 658 als Hst. Bouvy 716. DR. 5778
- Litho L.D. 1277 als Hst. Bouvy 724. DR. 5786
- Litho L.D. 3820 als Hst. Bouvy 985. DR. 6064
II. Philipon und das Maison Aubert
Im Mai 1829 gründete Ch. Philipon mit zwei Partnern eine erste Karikaturzeitschrift; „La Silhouette“. In dieser Publikation wurden die ersten Lithographien von H. Daumier veröffentlicht. Im Dezember 1829 haben dann Ch. Philipon und G. Aubert ein eigenes Unternehmen mit dem Vertrieb von Bildermagazinen bekannt gegeben. Die Firma nannte sich: „Grand magazin de caricature et de nouvautés lithographiques.“ Anfangs publizierte das Unternehmen Maison Aubert Kinderalben, Frauenjournale, erotische Drucke u.a.m. bald aber auch erste Karikaturen.
Im November 1830 gab dann Ch. Philipon das Erscheinen einer eigenen satirischen Wochenzeitschrift, die den Namen „La Caricature“ trug, bekannt. Eine Nullnummer (Prospectus) erschien am 9.10.183027), die erste Nummer am 4.11.183028). Die Zeitschrift hatte 4 Seiten Text und ihr beigelegt waren zwei auf festem Velinpaper gedruckte Lithographien, die oftmals koloriert waren. Das Blatt war nur im Abonnement erhältlich – ein Jahresabonnement kostete 52 Francs.
Kurze Zeit später, im Mai 1831, stellte „La Silhouette“ ihr Erscheinen ein – für zwei Karikaturmagazine war die Nachfrage nicht groß genug. Am 1.12.1832 gründete Ch. Philipon unter dem Dach des Maison Aubert eine weitere Karikaturzeitung, die als Tageszeitung ausgelegt war. Ihr Umfang betrug ebenfalls 4 Seiten, aber auf der Seite 3 war eine Karikatur eingedruckt, also nicht wie bei „La Caricature“ beigegeben, sondern direkt auf das Zeitungspapier gedruckt. Diese täglich erscheinende Publikation trug den Namen „Charivari“ und war ebenfalls nur im Abonnement erhältlich. Das Jahresabonnement betrug 60 Francs, die Zeitung konnte aber auch im Viertel-oder Halbjahresabonnement bezogen werden.29)
Mit den geforderten 60 Francs war der Charivari die billigste aller Pariser Tageszeitungen.30) Das Redaktionskollegium bestand aus Ch. Philipon als verantwortlichen Herausgeber und den drei angestellten Redakteuren: L. Denoyers, M. Altaroche und A. Cler. Die Auflagenhöhe betrug anfangs 2000 Exemplare, später war sie stärkeren Schwankungen ausgesetzt, wie z.B. in den Jahren 1834-35, da pendelte die Auflage zwischen 900 und 1400 Exemplaren.31). Beide Blätter aus dem Hause Aubert waren bis zum Jahre 1835 Verlustgeschäfte: „two lostmaking newspapers“32) Nicht zuletzt waren es die Verurteilungen zur Zahlung empfindlich hoher Geldbeträge wegen Verstoßes gegen entsprechender Gesetze, die zu diesen Verlusten führten.
Es waren die Gesetze wie die Angriffe auf die Würde des Königs, der Thronfolgeordung und die Rechte und die Autorität der Kammern, die mit Gefängnis von einem Monat bis zu fünf Jahren und Geldstrafen von 300 bis zu 6000 Francs geahndet wurden. Daher war die Publikation hochbrisanter politischer Lithographien durch das Maison Aubert ein höchst risikoreiches Spiel. Es war in erster Linie der ‚Gerant‘ Ch. Philipon als verantwortlicher Herausgeber meist regierungsfeindlicher politischer Karikaturen, den die Justizbehörden zur Rechenschaft zogen. Ch. Philipon war von der politischen Grundhaltung her ein gemäßigter Republikaner, vom Naturel her engagiert und zielstrebig, aber auch ein Mensch mit ausgeprägt autoritären Zügen. Er war der Mann der Erfindung und Umsetzung von Ideen in Bildern oder ganzer Bilderserien. So war auch die äußerst populäre und erfolgreiche 100 Bilder umfassende Serie: „Robert Macaire“ seinem Einfall geschuldet.33) Er hatte eine außerordentliche Begabung für „certain visual ideas“34), die dann von den für das Haus Aubert arbeitenden Zeichnern in Bilder umgesetzt wurden, aber auch für das Erstellen von das Bild begleitenden Legenden. Seine Entscheidungen über das, was geschrieben und gezeichnet werden durfte, waren maßgeblich: „no print could appear without his approval.“35). Überdies hatte er eine geschickte und erfolgreiche Hand in der Auswahl seiner Bildermacher wie Grandville, Gavarni, Decamps, Raffet, Daumier u.a.m. Gleichwohl: „Philipon’s lithographer played a far more passive role than generally is believed“.36)
Und Philipon musste immer die Kosten für das Erstellen und den Vertrieb seiner Publikationen im Griff haben und diese Kosten waren nicht unerheblich. Berücksichtigt werden mussten die verlagsinternen Kosten wie Portokosten, Papierkosten, Druckkosten für die Texte und die Lithographien, Lohnkosten für die Journalisten und die Künstler wie auch die allgemeinen Verwaltungskosten. Außerdem musste eine staatlich verfügte Stempelsteuer für jedes einzelne Druckexemplar („timbre royal“) abgeführt werden. Überdies verlangten die Behörden bei politischen Zeitschriften die Hinterlegung einer Kaution, um im Falle einer Verurteilung aus diesem Fundus die auferlegten Geldstrafen zu begleichen.
Schon sehr früh, nämlich am 14.12.1830 wurde von den Behörden eine verschärfende Neuregelung der Kaution und der Stempelsteuer veranlasst. Um das missliebige Blatt in finanzielle Turbulenzen zu stürzen, wurde „La Caricature“ als politische Zeitung eingestuft. (7.6.1832). Dieses Verdikt traf alle politischen Journale, in erster Linie die Organe der oppositionellen republikanisch orientierten Presseerzeugnisse. Der Machtkampf Philipon gegen Louis Philippe (freie Presse gegen das Haus Orleans) nahm Fahrt auf. Schon Anfang April 1831 wurden die Betreiber von „La Caricature“ aufgefordert, eine Kautionssumme von 30000 Francs aus eigenen Mitteln zu hinterlegen. Philipon wehrte sich gerichtlich gegen diese Kautionsforderungen und strengte mehrere Prozesse zur Klärung dieser Fragen an. Schließlich erfolgte am 7.6.1832 vor dem Berufungsgericht ein endgültiges Urteil in dieser Kautionsfrage. „La Caricature“ wurde zur Zahlung der Kautionspflicht verurteilt. Hinzu kamen ein Monat Haft für Philipon und 200 Francs Geldstrafe.37) Die staatlichen Behörden hatten den Kampf angenommen in der Erkenntnis, welche scharfe Waffe die in der Öffentlichkeit zirkulierende politische Satire/Karikatur für den öffentlichen Disput sein kann.
Aus der Sicht von Ch. Philipon waren die sich immer weiter verschärfenden Pressegesetze ein eklatanter Bruch der proklamierten Meinungs-und Pressefreiheit als Ergebnis der erfolgreichen Julirevolution von 1830. So beklagte Ch. Philipon am 26.7. 1832 in „La Caricature“ die bis dahin angefallenen Strafen: „Zwanzig Beschlagnahmungen, acht Prozesse, 3 Verurteilungen, mehr als 6000 Francs Geldstrafe, 13 Monate Gefängnis und obendrein 24000 Francs Kautionsforderungen.“38) Diese Maßnahmen der Obrigkeit mit ihren ungeheuren Belastungen für das Haus Aubert brachten das Unternehmen zusehends in eine finanzielle Schieflage.39)
Diese Verdikte der Regierung trafen übrigens alle oppositionellen Blätter. „Seit dem 3. August 1830 sind über die Presse 400 Prozesse, 200 Jahre Gefängnis und 300000 Francs Geldstrafe verhängt worden. Es befinden sich heute mehr als 30 Zeitungsredakteure in den Gefängnissen.“40) Große Sorgen bereiteten Ch. Philipon ab dem Jahr 1834 die schwindende Zahl der Bezieher eines Abonnements seiner beiden Karikaturblätter. Das betraf im besonderen Maße sein Wochenblatt „La Caricature“, deren Rentabilität infrage gestellt werden mußte.41) Deutlich wird das an der Zahl der Subscribenten in der Provinz für die letzten drei Monate des Erscheinens von „La Caricature“. Waren es im Juni 1835 noch 408 Subscribenten, so sank die Zahl im September auf 351.42) Schließlich sank die Gesamtzahl der Subscribenten auf 700 Bezieher.43) Ch. Philipon war gezwungen „La Caricature“ einzustellen.
Nach dem Attentatsversuch auf den König Louis Philippe am 30.7.1835 wurden die Presse-gesetze nochmals verschärft. Die „höllischen Gesetze“ vom 9.9.1835 beinhalteten u.a. die Einführung der Vorzensur für Bilder und die Hinterlegung von 100000 Francs für eine Tageszeitung in bar.44) 45). Auch der ‚Charivari‘ ging schweren Zeiten entgegen. Konnte er noch im Jahre 1834 auf 1000-1400 Abonennten tählen, so gingen die Zahlen im Herbst 1835 auf 900 – 1200 Abonennten zurück. Bedrohlich wurde die Situation für den ‚Charivari‘ für den Zeitraum Herbst 1836 bis Januar 1837. Im ersten Monat des Jahres 1837 zählte der „Charivari“ nur noch 766 Abonennten.46) Langsam erholte sich das Blatt: Im Februar 1837 gab es schon wieder 958 Bezieher, im April eine weitere Steigerung auf 1337 Leser.47) Die von den Behörden 1835 verfügten noch härteren Pressegesetze erzwangen eine Richtungsänderung des „Charivari“ hin zu mehr unpolitischen Themen. Vom Mai 1837 bis zum Februar 1838 stieg die Auflage von 1466 auf 2333 Exemplare. In den folgenden Jahren stabilisierte sich die Auflage, z.B. für das Jahr 1841 auf 2300 – 3000 Exemplare.48) Die Hinwendung von der scharfen Kritik an den politischen Machthabern hin zu einer amüsanten Schilderung der Nöte des bürgerlichen Alltags war gelungen – die Zahlen sprechen für sich.
Eine verlässliche Aussage über die soziale Zusammensetzung der Leserschaft des „Charivari“ gab es lange nicht, bis eine polizeiliche Aktion ein wenig Licht in diese Angelegenheit erbrachte. Am 28.7.1835 beschlagnahmte die Polizei die geschäftlichen Unterlagen des Maison Aubert. Dabei fiel der Polizei auch die Subscribentenliste des „Charivari“ in die Hände. Es ergab sich folgendes Bild: die Zahl der Leser in der Provinz betrug 961, die der in Paris ansässigen 385, was eine Gesamtzahl von 1404 Subscribenten ergab. Es spiegelt also das Verhältnis von Provinzbeziehern zu Pariser Beziehern von zwei Drittel zu einem Drittel-der „Charivari“ war daher auf die Bezieher aus der Provinz wirtschaftlich dringlich angewiesen.
Die Beschlagnahme machte deutlich, welchen sozialen Status die Bezieher dieses Blattes innehatten. Es waren Adlige, Geschäftsleute, Industrielle, Rechtsanwälte, Notare, Doktoren, Apotheker, Politiker, Offiziere49), also die soziale Schicht der Notablen und des Bildungsbürgertums.50).
Um das wirtschaftliche Überleben des Maison Aubert zu sichern, mussten trotz der erheblichen Verluste, die die beiden Karikaturblätter einbrachten, andere Verlagsprojekte den nötigen Gewinn einspielen. Der kommerzielle Erfolg des Hauses beruhte auf den Publikationen des Bereiches der „non political work“51). „Caricature formed only a small part of the firm’s repertoire.“52) Es waren die der unpolitischen und die der Unterhaltung gewidmeten Publikationen, die das Maison Aubert seit seinen Anfängen mit zunehmenden Erfolg herausgab: „the market for incidental publications that had been the bread-and-butter since its founding.“53)
Charles Philipon hatte zudem frühzeitig eine weitreichende unternehmerische Entscheidung getroffen, die sich als entscheidend für das Überleben des Maison Aubert herausstellte. Im Jahre 1834 etablierte er eine eigene lithographische Anstalt, mit dem erklärten Ziel, somit die Druckkosten für seine Publikationen zu senken: „La Maison Aubert had to cut its expenses…it needed its own press“54)
Vier Jahre später war das Maison Aubert die führende lithograpische Druckanstalt in Paris.55) Eine eigene Druckerei gab Philipon somit die einträgliche Möglichkeit, fremde Druckaufträge anzunehmen, die eine zusätzliche Einnahmequelle boten.56) Weitere Verkaufserlöse für das Maison Aubert ergaben sich durch die Verkäufe unter anderem durch die Verkäufe von gebundenen Ausgaben von „La Caricature“ und dem „Charivari“, dem Verkauf einzelner Blätter auf besserem Papier sowie ganzer Serien in Alben.57) Und die Fülle der Publikationen, die Philipon herausgab, boten auch die Möglichkeit, die von Daumier und anderen Künstlern verfertigten Lithographien und Holzstiche nochmals zu verwenden. 58)
Auch in der Herausgabe von illustrierten Buchpublikationen war Philipon sehr erfolgreich. Sein gewinnträchtigstes Projekt waren die 200 „Physiologien“, eine bebilderte Beschreibung von einzelnen Typen des Pariser Alltags. Sie erreichten eine Gesamtauflage von 161000 Bänden. H. Daumier selbst versah 21 Bände „Physiologien“ mit seinen Holzstichillustrationen. 59)
Im Jahre 1835 haben politische und ökonomische Zwänge das Verlagshaus Maison Aubert unter der Leitung von Charles Philipon zu einer Neuordnung des Geschäftszweiges Karikaturmagazine genötigt. ‚La Caricature‘ musste aufgegeben werden, aber der „Charivari“ wurde gerettet. Damit war der Kampf Philipon gegen Louis Philippe vorerst entschieden.
Für H.Daumier beginnt ein neues Kapitel seiner Karriere als Zeichner des „Charivari“. In den folgenden Jahren entwirft er ein einzigartiges Panorama der Pariser bürgerlichen Alltagskultur. Diese großen Bilderfolgen mehren seinen Ruhm als einer der besten Zeichner seiner Zeit, neben Ingres und Delacroix. 60)
Literaturliste:
- Ausstellungskatalog: „Honoré Daumier. Gemälde, Zeichnungen, Lithographien, Skulpturen.“ Ausstellung 24.4.-31.5.1971. Ingelheim am Rhein
- Ausstellungskatalog: „Monsieur Daumier Ihre Serie ist reizvoll!“ Die Stiftung Kames. Staatliche Graphische Sammlung München und Deutscher Kunstverlag Berlin München 2012
- Austellungskatalog: „La Caricature. Bildsatire in Frankreich 1830-1835 aus der Sammlung von Kitter.“ Herausgegeben von Gerd Unverfehrt. Göttingen 1980
- Ausstellungskatalog: „Daumier 1808-1879“ National Gallery of Canada, Ottawa. Ottawa 1999. Paris 1999 (french edition)
- Ausstellungskatalog: „ Daumier ist ungeheuer. Max Liebermann. Gemälde, Zeichnungen, Graphik, Bronzen von Honorè Daumier.“ Herausgegeben von der Stiftung Brandenburger Tor. Berlin 2013
- Albrecht, Juerg: „Honoré Daumier mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten“ Reinbek Rowohlt 1984
- Bosch-Abele, Susanne: „La Caricature (1830-1835) Katalog und Kommentar. 2 Bde. Weimar VDG 1997.
- Bouvy, Eúgene: „Daumier L’Oeuvre Gravé Du Maitre“ 2 Bde. Paris M.le Garrec 1933.
- Cuno, James B.: „The Business And Politics Of Caricature: Charles Philipon and La Maison Aubert.“ In: Gazette des Beaux-Arts 1985 S. 95-112
- Delteil, Loys: „Honoré Daumier (= Le Peintre-graveur illustré Bd. 20-29) Paris 1925-1930 Kürzel L.D.
- Fuchs, Eduard: „Honorè Daumier Holzschnitte: 1833-1870 München A. Langen o.J.
- Gascoigne, Bamber: „How to Identify Prints“ Thames and Hudson London 2.Auflage 1991
- Heid, Brigitte: „Ist sie aber gut, so begreift ihr alles von selbst“ In Ausstellungskatalog: „Monsieur Daumier …“ München und Berlin 2012 S. 86-97
- Keisch, Claude :“…ungeheuer!“- Daumier ungeteilt. In: Ausstellungskatalog: „Daumier ist ungeheuer…“ Berlin 2013 S. 20-27
- Kerr, David S.: „Caricature and French Political Culture 1830-1848. Charles Philipon and the illutrated Press“ Oxford repr. 2004
- Lachenal, Francois: „Daumier, Firmin Gillot und die Anfänge der Photogravur“ In: Austellungskatalog: „Honoré Daumier…“ Ingelheim am Rhein 1971 o. Seitenangabe
- Noack, Dieter und Lilian: „The Daumier Register digital“ www.daumier-register. org
- Passeron, Roger: „Honoré Daumier und seine Zeit“ Würzburg Popp 1979
- Rebel, Ernst: „Druckgrafik. Geschichte und Fachbegriffe. Stuttgart Reclam 2. Auflage 2009.
- Rümann, Artur: „Honoré Daumier. Sein Holzschnittwerk“ München 1914
- Provost, Louis und Childs, Elizabeth C. Introduction: „Honorè Daumier. A Thematic Guide To The Oeuvre.“ New York London 1989.
Anmerkungen
1) Vergl. Holzstich nach Daumier bei E.Bouvy Nr. 280, erschienen z.B. im Charivari v. 19.11.1845, gleiche Abbildung bei B. Heid S. 87
2) R. Passaron S. 101
3) Diese ersten Abzüge gelten unter den Daumier-Sammlern als begehrte Kostbarkeiten
4) Die ausgewählte Bildlegende wurde extra honoriert. Sie musste durchaus nicht den Intentionen des Bilderfinders H. Daumier entsprechen.
5) Siehe zu diesem Thema die Erläuterungen im Daumier-Register
6) E. Fuchs S.15
7) B. Gascoigne Nr.33c
8) Siehe dazu die Erläuterungen im Daumier-Register und bei F. Lachenal mit der Tafel der gillotierten Blätter o.S.
9) Dazu F. Lachenal mit Bildwiedergaben von L.D. 3925, einmal als Abzug vom Stein, des anderen als Gillotage
10) F. Lachenal a.a.O
11) F. Lachenal a.a.O
12) C. Keisch S.24
13) L.Provost E. Childs: siehe die tabellarische Zusammenfassung der 16 Nummernfolgen S. 194
14) L. Provost E. Childs: S.192-194
15) L. Provost E. Childs: S.175-177
16) Siehe Erläuterungen zum Stichwort „Steinnummer“ im Daumier-Register
17) E. Fuchs Nr.33-40. Kommentar dazu auf S.31
18) E. Bouvy S. XII
19) E. Rebel S.204ff
20) Siehe Daumier-Register Nr.5001 ff
21) A. Rümann S.22
22) E. Rebel Stichwort ‚Galvanoplastik‘ S. 190F und Aust. Katalog Ottawa/Paris S. 189 Anm. 4
23) R. Passaron S. 298
24) Mehrfachverwendung von 2 Holzstichen vgl. Daumier-Register Nr. 5053 und 5054, desgleichen E. Bouvy Nr. 50 und 51 Fuchs Nr. 46 und 47
25) Siehe dazu Aust. Katalog Ottawa/Paris: „relief engraving en copper after a drawing“ S. 191
26) S. Bosch-Abele S.18 und J.B. Cuno S.99
27) S. Bosch-Abele S. 73-75
28) S. Bosch-Abele S.75-76
29) J. Albrecht S.29
30) D.S. Kerr: „ Le Charivari was the cheapest daily newspaper in Paris“ S.123
31) D.S. Kerr S. 125
32) D. S Kerr S. 63
33) J. B. Cuno S.105
34) J.B. Cuno S.106
35) D.S. Kerr S. 63
36) D.S. Kerr S. 64
37) S. Bosch-Abele S.55
38) J. Döring: „Die Presse ist vollkommen frei“ LA CARICATURE und die Zensur. In: Aust. Katalog: La Caricature…Sammlung Kritter S.35
39). S. Bosch-Abele S.56
40) J. Albrecht S. 34
41) S. Bosch-Abele S. 62
42) D.S. Kerr S.125
43) S. Bosch-Abele S. 62 und D.S. Kerr S.126
44) J. Albrecht S.39
45) S. Bosch-Abele S.63
46) D.S. Kerr S.126f
47) D.S. Kerr S.126
48 Zu den Details D.S. Kerr S. 126
49) D.S. Kerr S. 128
50) J.B. Cuno S.105
51) D.S. Kerr S. 61
52) D.S. Kerr S. 61
53) J,B. Cuno S. 109
54) J.B. Cuno S. 110
55) J.B. Cuno S. 110
56) J.B. Cuno S.110, z. B. die Publikationen ‚Figaro‘, ‚La Mode‘ etc.
57) Die Album-Blätter waren auf festem Velin-Papier gedruckt und wurden sowohl in unkolorierten wie auch in kolorierten Ausgaben angeboten.
58) Siehe Daumier-Register mit einer Liste der Mehrfachverwendung der Daumier-Zeichnungen.
59) J.B. Cuno S.111
60) Eine Zeittafel der Abfolge dieser Serien, die zwischen 1837 und 1851 entstanden sind, zeigt R. Passaron in seinem Buch über Daumier auf den Seiten 132 und 133.