Michelangelo der Karikatur

Beitrag anlässlich der Eröffnung der Ausstellung im Kunsthaus Apolda Avantagarde  | 22. April – 17. Juni 2012

Warum Daumier?

Was interessiert uns noch heute das Werk eines französischen Witzblattzeichners aus dem 19. Jhdt.? Ein Mann mit blasser Vita. Eine eher unscheinbare Figur – auch zu seinen Lebzeiten tritt er als Person kaum einmal vernehmlich an die Öffentlichkeit.

Eine Art Ehrenrettung zu seinen späten Lebzeiten, veranstaltet von einigen ihm sehr nahe stehenden Freunden, eine Verkaufsausstellung von 200 seiner Arbeiten im Jahre 1878 blieb ohne Resonanz, es wurde kein einziges Bild verkauft. Daumier blieb für die meisten seiner Zeitgenossen, aber auch für uns, der Spottbildzeichner des Pariser Alltags, der drollig dargestellte Personen in oftmals misslichen Situationen darstellte – offenbar schnell zu vergessende Schmunzelbilder.

Oder es waren Bilder mit tagespolitischem Aktualitätsbezug, Bilder, die nur denen vertraut waren und entzifferbar, die die politischen Ereignisse verfolgen und bewerten konnten. Diese Vorgaben sind erst recht für heutige Betrachter kaum einlösbar.

Uns ist das 19. Jhdt. insgesamt eher fremd geworden – was wissen wir heute noch von diesem sog. „Langen Jahrhundert“ der Vormoderne, seinen sozialen und kulturellen Krisen, den vielen kriegerischen Auseinandersetzungen und anderen Katastrophen, von Armut und von Hungersnöten, Krankheit und regelmäßig wiederkehrenden Epidemien, von gelungenen und misslungenen Revolutionen aber auch von technischen, sozialen und kulturellen Fortschritten.

Mit Mühe erinnern wir uns an den Vormärz und an das Revolutionsjahr 1848, dem sog. Völkerfrühling, und an die darauf folgenden politischen Wunschvorstellungen, die sich mit der ersehnten Herrschaft einer parlamentarischen Demokratie verbanden und die statt dessen die Etablierung von zwei sich mehr und mehr feindlich gesonnen autokratischen Regime in Mitteleuropa erbrachten.

Derlei Konstellationen endeten folgerichtig in einem Krieg und damit verbunden, eine sich anschließende zunehmenden Entfremdung der beiden Nationen.

Wie schwer wird es dann für beide, für den jeweils anderen Verständnis für die kulturellen Leistungen des Nachbarn zu entwickeln, gerade auch was den Bereich der „Bildenden Kunst“ angeht?

Und wie soll speziell bei uns Deutschen das Interesse an einem eher marginalen Bereich der „Bildenden Kunst“, nämlich der Karikatur als Teil der französischen Bildpublizistik geweckt werden?

Noch dazu, wenn man etwas hilflos vor dem Problem steht, bei der Betrachtung solcher Karikaturen die Beziehung zwischen Bild und Text zu deuten – beide führen doch ihr Eigenleben – und beide spielen mit Zweideutigkeiten und Verballhornisierungen.

Dazu kommt unser geringes historisches Wissen über den Verlauf der Entstehung dieser Spottbilder – welche Personen hatten zu welchem Moment von der Idee bis zum Druck ihren Anteil an der Genese des einzelnen Bildes? Fragen übrigens, die bis heute noch nicht endgültig beantwortet werden können.

Unsere Zeit sucht einen entschuldbar einfachen Blick zurück auf das höchst verwickelte Procedere der Bildentstehung. Sie konzentriert sich, dem Trend der Neugewichtung individueller Leistung folgend, auf einen als autonom gesehenen Künstler, der sich auf sich selbst gestellt mehr oder minder genialisch seinem Werk verschreibt. Das Individuum Daumier, seine Vita, sein Werk, seine Nöte und Kümmernisse entkommen so auf diese Weise dem historischen Kontext. So entwickeln sich Legenden. Erst wir, die Nachwelt, so die Lesart, adeln den verkannten Künstler, der, von der Welt vergessen, arm, alt und blind verstarb.

Ein großer Teil der bisher inszenierten Daumier Ausstellungen, Liane und Dieter Noack haben in ihrem Daumier-Register annähernd 2000 gezählt, folgen solchen Vorstellungen.

Daumier war Teil eines Netzwerkes von Künstlern seiner Zeit. Künstlern, die eher fortschrittliche Beiträge zur Kunst ihrer Epoche einbrachten. Daumier war Teil dieser Avantgarde und der einzige Karikaturist unter ihnen, wenn sie überhaupt einen Karikaturisten in ihm sah und nicht vielmehr einen zu bewundernden Zeichner und Plastiker.

Daumier pflegte innig freundschaftliche Kontakte zu den Malern von Barbizon, den Erfindern der „paysage intime“, wie zu Corot. Daubigny Millet, Th. Rousseau, Diaz u.a.m. Er war mit vielen Malern der französischen Romantik in Verbindung wie Delacroix, Meissonnier, Huet, Decamps. Auch pflegte er enge Kontakte zu den führenden Mitgliedern des Frühimpressionismus wie Degas, Manet und Monet, speziell nach seinem Umzug 1863 ins Quartier „Nouvelle Athene“ in Paris, wo eine Mehrzahl von ihnen wohnte. Auch der große Realist Courbet zählte zu seinen Freunden.

Und es waren die romantischen Bildhauer wie Preault, David D‘ Angers, Barye und Dechaume, mit denen er Probleme des plastischen Gestaltens besprach. Nicht zu vergessen seine Bekanntschaft mit Nadar, der zeitweilig Mitarbeiter beim Charivari war und später einer der bedeutenden Fotographen des 19. Jhdts wurde. Nadar hat dann auch einige der berührensten Fotos von Daumier gemacht.

Daumier kannte auch einen Teil der literarischen Avantgarde, wie vor allem Baudelaire, aber auch Victor Hugo. Alberic Second, Balzac, A. Dumas, Nerval und Gautier. Und als angestellter Zeichner war er in stetem Kontakt mit den leitenden Redakteuren vom „La Caricature“ und dem „Charivari“, es waren Desnoyes, Huart und vor allem sein Landsmann Taxile Delord.

Sie alle und viele andere sind sein geistiger Kraftraum und oftmals Sinn- und Themastifter. Daumiers Werk erschließt sich aus diesen Verbindungen, sein Werk ist das geistige Eigentum dieser Zeit.

Doch seine größte Verbundenheit und vielfältige Abhängigkeit sollte dem Mann zukommen, der ihn entdeckt und dann angestellt hat. Dieser Mann hat ihm dann auch aufgrund dessen Produktivität für lange Zeit ein gesichertes Einkommen garantieren können – Charles Philipon.

Es trafen zwei Persönlichkeiten aufeinander, wie sie in ihrer Charakterstruktur nicht unterschiedlicher hätten sein können. Charles Philipon, der Ältere mit 30 Jahren begegnet Honoré Daumier, der gerade mal 20 Jahre zählt bei ihrem ersten Aufeinandertreffen. Charles Philipon, der Macher, von Wagemut beseelt, bringt, mit geringen finanziellen Mitteln ausgestattet, 1830 das Wochenjournal „La Caricature“ heraus, zwei Jahre später die Tageszeitung, den „Charivari“. Der wirtschaftliche Erfolg der beiden Blätter ist eher bescheiden, doch Philipon betrachtet seine beiden Unternehmungen aus der Sicht eines Homo Politicus als seinen Beitrag zur öffentlichen Belehrung der Nation.

Honoré Daumier, der junge Autodidakt im Zeichnen und ohne große schulische Vorbildung, aus kleinen Verhältnissen kommend, gerät in diese ihm unvertraute Welt. Er war aber von der Notwendigkeit getrieben, mit seiner Arbeit als angestellter Zeichner Vater, Mutter und zwei Geschwistern das Überleben zu sichern.

Anfang 1832 werden die ersten Lithographien von Daumier in „La Caricature“ erscheinen. Deren Motto „Castigat ridendo mores“ „züchtigt lachend die Sitten“ soll zeigen, wie das Blatt von seinem Selbstverständnis her, der lachenden Belehrung, inhaltlich ausgerichtet ist. Es werden insgesamt 91 Beiträge von Daumiers Hand bis zum Ende dieser Publikation im Jahre 1835 erscheinen.

Der Druck, der auf dem jungen Daumier lastet wiegt schwer. Im Schnitt 2-4 Zeichnungen allwöchentlich für Philipons Publikationen abliefern zu müssen scheint kaum bewältigbar. Ohne das permanente drängelnde Antreibens seitens Philipons, hätte er, so sagt Daumier, keinen einzigen Strich getan.

Philipon hatte alles das, was Daumier nicht hatte. Entschlusskraft, Wagemut, Geschäftssinn, eine hohe Bildung. Daumier hatte dem nur mittelmäßigen Zeichner Philipon gegenüber nur eines entgegen zu setzen: sein einzigartiges Zeichentalent und seine Begabung als Bildhauer. Diese Talente hat Philipon schon früh zu fördern gewusst, Philipon war übrigens mit den fortschrittlichen Bewegungen auf dem Gebiet der Literatur und der bildenden Kunst vertraut – so war er zeitweilig Anhänger einer Gruppe von romantisch gestimmten politischen und literarischen Rebellen in Frankreich: der Gruppe der Bousingots.

Zunächst war Philipon nach der erfolgreichen Julirevolution 1830 durchaus mit dem Zensus bestimmten parlamentarischen Königsbürgertum einverstanden, garantierte es doch die für seine Unternehmungen wichtige im Grundrecht verankerte Pressefreiheit. Als er sich aber mit der Verschärfung der Pressegesetze von 1831 nunmehr mit hohen Kautionsforderungen für politische Journale und einer zusätzlichen Stempelsteuer konfrontiert sah, befürchtete er den wirtschaftlichen Niedergang seines Blattes.

Mit ungeahnter Vehemenz eröffnete er in Text und Bild den Kampf Charles Philipon gegen Louis Philippe: Bild als Waffe gegen staatliche Gegenwehr in Form von Beschlagnahmungen, Prozessen, Verurteilungen zu Gefängnis und hohen Geldstrafen. Schlechte Bedingungen für dieses Journal, deren Abonenntenzahlen zwischen 600 bis 1400 Beziehern schwankten.Auch der Charivari brachte es zunächst selten zur wirtschaftlichen Blüte. Beide Satire-Blätter blieben Verlustgeschäfte, nur weil im Verlagsprogramm Auberts, zu denen die beiden gehörten, eine bunte Fülle von seichter Unterhaltungsliteratur große Gewinne abwarfen, konnte Philipon seine beiden politischen Ziehkinder auffangen und auf Kurs halten.

1835 war dann Schluss mit „La Caricature“. Mit der von der Regierung beschlossenen Einführung der Vorzensur war die Publikation kritischer Bildbotschaften unmöglich geworden.

Das Tagesjournal, der Charivari, vollzog einen Schwenk hin zu unpolitischen Themen und konzentrierte sich auf die Sorgen, Ängste, Nöte und Freuden des Bürgers im Pariser Alltag. Und der Zeichner Daumier hatte ein neues weites sich in Tausenden von Facetten spiegelndes Betätigungsfeld: den Bilderbogen der Comedie Humaine.

Philipon und Daumier: eine komplementäre aber zutiefst ungleiche Beziehung dieser beiden Männer. Auf der einen Seite der Autokrat Philipon, der die totale Kontrolle über seine Blätter nie aufgab, der allein Verantwortliche über alle redaktionellen Beiträge und Bildbeigaben, kein Druck ohne seine Einwilligung – er war der Oberzensor seines eigenen Blattes. Er gab die Ideen vor für Einzelblätter und die Serien, schrieb neben Huart und Desnoyer die Legenden zu den Bildern und bestimmte, welcher Zeichner was zu zeichnen hatte. Die Zielgruppe seiner beiden Publikationen blieb die geistige Elite der Nation, seine Blätter blieben Teil einer Elitenkultur, deren Mitglieder die notwendigen Vorkenntnisse der abendländischen Schrift- und Bildkultur mitbrachten, um die Anspielungen in Bild und Text zu verstehen.

Die politischen Aussagen in den beiden Satire Blättern blieben eher unbestimmt, Philipon musste alles vermeiden, was seine „leisured readership“ irritieren und zur Aufgabe des Abonnements bewegen könnte. Und er wählte seine Bildermacher nach der Maßgabe aus, dass sie von ihm abhängig blieben, da sie nach seiner Einschätzung als Anbieter auf dem freien Bildermarkt keinen finanziellen Erfolg verbuchen konnten.

Daumier blieb daher 30 lange Jahre von seinem Forderer und Förderer abhängig. Er hatte keine andere Wahl. Die Möglichkeit eines Wechsels zu einem Konkurrenzblatt war nicht vorhanden, weil es keines gab.

Seine nebenbei erstellten Zeichnungen und Ölgemälde waren in der Mehrzahl nur seinen Malerkollegen bekannt. Der freie Bildermarkt als Absatzforum für seine Schöpfungen blieb ihm verschlossen. Trotzdem spielte Daumier mit dem Gedanken, nach einige kleinen Achtungserfolgen, einen Teil seiner Tätigkeit nach 1848 der Zeichnung und der Malerei zu widmen. Das konnte einem Mann wie Philipon nicht gefallen, dass sein erfolgreichster Zeichner sich von ihm entfernte.

Schließlich war der Erfolg des Charivari mitbestimmt durch die Bildbeigaben von Daumier. Schließlich zerbrach durch die immer stärker hervortretende Interessensdivergenz diese so erfolgreiche Partnerschaft. 1860 wurde Daumier von Philipon fristlos entlassen. Nicht genug an dem – Philipon trat nach und verhöhnte Daumier in einem Pamphlet mit dem Titel: Der König tritt ab. Philipon beklagte dort schwindende Abonenntenzahlen wegen langweiliger und kraftloser Zeichnungen seitens Daumier. Der Zorn muss Philipon überwältigt haben, denn die Abonnementenzahlen gingen nachweislich nicht zurück und wer die Jahrgänge 1859-1860 des Charivari durchschaut, wird eine Reihe überdurchschnittlich schön gezeichneter lithographischer Arbeiten von Daumier zu Gesicht bekommen.

Philipons Rache-Kalkül ging leider auf: Durch den Wegfall der regelmäßigen monatlichen Einkünfte wurde die wirtschaftliche Lage für Daumier und für diejenigen, die er mit zu versorgen hatte, außerordentlich prekär. Auch eine kurzfristige Mitarbeit am Journal: „Le Boulevard“ seines Freundes E. Carjat half ihm kaum aus der Misere – gleichwohl gehören die 11 Blätter für den „Boulevard“ zu den besten und gesuchtesten Arbeiten auf dem Daumier-Markt.

Das Schicksal wollte es anders. Im Jahre 1863 starb Philipon und die Redaktion wusste nichts Besseres, als Daumier wieder sofort einzustellen, was sicher auch für die hohe Wertschätzung sprach, die Daumier unter seinen Redaktionskollegen genoss. Daumier bedankte sich auf seine Weise. Er zeichnete für den Charivari zwischen 1863-1871 sein großes politisches Alterswerk: seine Bilder zu Krieg und Frieden in Europa. Man würde Philipon Unrecht tun, würde man ihn in die Ecke der Daumier-Verächter stecken und seinen Sachverstand zu den Leistungen von Daumier unterschätzen: Sein Fazit liest sich so: „Ingres und Daumier, diese siamesischen Zwillinge, repräsentieren würdig die ganze Kunst…das sind die Namen, die unser Jahrhundert kommenden Generationen stolz darbieten wird.“ Dieses Urteil deckt sich mit den Aussagen über Daumier, die wir von Delacroix , Balzac und von Baudelaire kennen. Und Baudelaire sagt es ganz deutlich. Es sind die Künstler, die ihn verstanden haben. Man muss hinzufügen, und die angefangen haben, Daumier zu sammeln: so besaß z.B. Degas etwa 1500 Lithographien von Daumier. Als Sammler traten auch auf: Manet und Monet, seine Freunde, die Barbizonisten, später van Gogh und Toulouse-Lautrc, dann Picasso- sie alle waren von dem ergriffen, was Baudelaire über Daumiers Lithographien zu urteilen wusste: „Daumier hat aus der Karikatur eine ernste Kunst gemacht.“

Daumier hat seinen Künstlerkollegen und -Freunden gezeigt, wie man die Linien der Zeit zieht. Er konnte zum einen wie ein Bildhauer zeichnen. In seinen frühen Lithographien findet man Ganzkörperporträts von einzelnen Deputierten der Kammer wuchtig, scharfkantig, monumental, wunderbar das Gleichgewicht der Körperproportionen haltend, nur in ihren Gesichtszügen hat sich die Lasterhaftigkeit ihres Tuns eingegraben. Es bedurfte nur dieses kleinen Merkmals des entlarvenden Verzeichnens der Mimik und der Gebärdensprache, um diese falschen wie hohlen Monumente: vom Sockel zu stoßen.

Auf der anderen Seite und mit derselben Virtuosität, löste Daumier die harten Konturen seiner dargestellten Figuren auf und wickelt sie in ein Liniengespinst ein. Der Augenblick der Fixation wird verwandelt in das Kontinuum der Zeitdauer einer fortlaufenden Bewegung.

Der Atem der Zeit, ihre zunehmende Schnelllebigkeit findet durch Daumier zeichnerisch ihr Abbild. Dieses Durchmessen von linearen Möglichkeiten, dieses Probierhandeln an den Grenzen der Linienführung entlang hat kein anderer Künstler seiner Epoche zu leisten vermocht. Diese Chance dazu hatte er nur als Karikaturist, da er hier, frei von allen Konventionen und Maßregelungen, die die höhere Kunst einengten, alle zeichnerischen Möglichkeiten ausschöpfen konnte.

Er persönlich hat, wie ich angedeutet habe, diese Situation der lebenslangen Abhängigkeit als ein Höchstmaß an Unfreiheit erfahren. So musste er sein Lebenswerk unter diesen Bedingungen zu Ende bringen.

Das von Kaiser Napoleon dem III. verkündete Verdikt: Das Kaiserreich ist der Friede – blieb weitestgehend Fiktion. Bekanntlich wuchs die Kriegsgefahr stetig an und es kam in seiner Regierungszeit zu einer Reihe von Kriegen auf europäischen Boden.

Daumier hat das Erschrecken vor dieser Form zivilisierter Moderne, der hässlichen Moderne, in programmatische Bilder umgesetzt. Er ist immer wieder dieser stete und unbequeme Mahner, der vor dem Irrweg eines bewaffneten Friedens in Europa als Regulativ einer europäischen Ordnung warnt. Das Gleichgewicht Europas kann nicht auf Gewehrläufen balanciert werden, so eines seiner berühmten Bilder.

Und Daumier scheut sich auch nicht, seine eigenen Landsleute in die Pflicht zu nehmen. In einer späten Lithographie klagt er sein eigenes Volk an, mit seinen Ja-Stimmen zur Etablierung des zweiten Kaiserreiches diesen für Frankreich verhängnisvollen Weg geebnet zu haben. Und seine Visionen eines künftigen Europas um 1900 beschreiben die Militarisierung selbst des Alltags- keiner geht mehr ohne Waffen aus dem Haus, jeder misstraut jedem. Aber es sollte ja bekanntlich noch schlimmer kommen.

Leider hat Daumier mit diesen Bildern Recht behalten. Das bürgerliche Zeitalter nimmt seinen Fortgang und damit auch eine Vielzahl ungelöster Probleme, auch gerade die, die sich an den Rändern Europas abzeichnen und die bis auf den heutigen Tag die Schlagzeilen füllen.

Deshalb sind seine Bilder künstlerisch wie inhaltlich unvermindert aktuell. Einstmals werden seine Bilder zum Kernbestand eines noch zu errichtenden Museums der europäischen Idee zählen.

Thomas Metzten

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