Über die Legenden zu Daumiers Lithographien
Jene eingängigen Bildunterschriften, die ihm mehr genützt haben als seine Kunst, jene Legenden stammten nicht von ihm. Daumier übertrug die Menschen und Dinge seiner Zeit ohne andere als künstlerische Absichten. Aber ein erfinderischer Geist setzte sich vor das Blatt und dachte sich eine Legende aus. Oft geschah es, daß dieser geistreiche Mensch, dessen bescheidener Beitrag sich darauf beschränkte, dem Publikum zu erklären: „Sehen Sie hin, Sie werden schon sehen!“, meinte, schon für diese geringe Leistung Eigentumsrechte an Daumiers Werk anmaßen zu dürfen. So auch Philipon, der Gründer der Zeitung La Caricature.
Kaum war in einer Zeitung von Daumiers Robert Macaire die Rede, so kam gleich ein Brief von Philipon, der, weil er die Legende verfaßt hatte, seine Vaterschaft anmeldete. Mit dem gleichen Recht aber könnten alle, die am Charivari tätig waren, sich für die Urheber von Daumiers Werk erklären. Ich selbst wurde in jungen Jahren von Louis Huart [seit 1835 am Charivari tätig, später Chefredakteur] dazu verdonnert, mich vor Daumiers Lithographien zu setzen und Legenden zu fünf Francs pro Stück zu erfinden; das war der Preis.
Albert Wolff, in: Le Figaro, 13. Febr. 1879. Wolff, 1835-1891, war am Charivari ab 1859, später beim Figaro, zuletzt dessen Chefredakteur
Abbildung: Albert Wolf, Foto: Nadar [Public domain or Public domain], via Wikimedia Commons