Julius Meier-Graefe

Julius Meier Graefe
Julius Meier Graefe

In drei Pinselstrichen von Daumier steckt unsere Zeit.

[…] Man muß Delacroix und Daumier in einem Atem auszusprechen lernen. Der eine war das Gewissen des anderen, und in jedem künstle­rischen Menschen gibt erst die Gemein­schaft der beiden Elemente, die sie darstellen, die volle Reife. In drei Pinselstrichen von Daumier steckt unsere Zeit. Er überließ sich seiner Malerei ebenso sehr, wie Delacroix sich immer vor ihr wehrte. Die Kultur in dem Schöpfer der Dantebarke steht himmel­hoch über dem Zeichner des ventre législatif, aber sie gleicht selbst der Barke, die mit den Gewalten, die sie um­geben, kämpft und nie ans Ufer gelangt.

Daumier war von der neuen barbarischen Gesund­heit: ein enormer Nerv, geeignet, all das Ungeheuer­liche, Fibrierende unserer Zeit vorherzufühlen und – darüber zu lachen. Seine Bilder sind Zuckungen des Genies und zwar des unseren, des widerspruchsvollen Genies vom Ende des 19. Jahr­hunderts, auf das man umgekehrt verwenden könnte, was Ingres von Signorelli sagte: C‘est beau, c’est très beau, mais c’est laid! — Häßlich, sehr häßlich, aber über die Maßen schön!

Aus: Julius Meier-Graefe, Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst, Stuttgart 1904, Band I, S 94 f.

Abbildung: Julius Meier Graefe, Maler: Lovis Corinth [Public domain], via Wikimedia Commons

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